Corona reißt auch Lücken im Ehrenamt

Corona hat auch das Vereinsleben weitestgehend lahmgelegt. Hauptversammlungen sind kaum denkbar. Aber wie steht es um die Vereine?

Bei der Lebenshilfe sehnt man sich nach den regelmäßigen Begegnungen von behinderten und nichtbehinderten Menschen zurück. Hier ein Bild mit den Clowns, das im Rahmen eines generationsübergreifenden Projekts für Senioren und Kinder in den Herbstferien 2019 aufgenommen wurde. Foto: Lebenshilfe

Roland Buckenmaier 27.05.2021 - 17:01 Uhr

Corona hat auch das Vereinsleben weitestgehend lahmgelegt. Hauptversammlungen sind kaum denkbar. Aber wie steht es um die Vereine? In unserer Serie "Mein Verein" ziehen Vorsitzende in einem Interview Bilanz eines außergewöhnlichen Jahres 2020 und blicken auf die Zeit nach Corona.

Nagold - Diesmal mit uns im Gespräch: Matthias Köhler, seit 2014 Vorstandsmitglied und seit vier Jahren Vorstandssprecher der Lebenshilfe (LH) Oberes Nagoldtal e. V.

Wie hat sich Corona auf Ihr Vereinsleben ausgewirkt?

Bei der Lebenshilfe gab es in vielerlei Hinsicht massive Veränderungen und Einschnitte. Im März 2020 wurde das komplette Betreuungsangebot – von den Kindern bis zu den Senioren – im Bereich der Offenen Hilfen beziehungsweise familienentlastende Dienste für mehrere Monate geschlossen. Das Leitungsteam musste sich mit nicht gekannten Herausforderungen auseinandersetzen. Dabei gab es folgende Fragestellungen: Wie können wir den Kontakt zu den Menschen mit Handicap in der Region aufrechterhalten? Wie kommen wir mit den finanziellen Einbußen, zum Beispiel von Absagen oder gebuchten Freizeitunterkünften und laufenden Kosten für unser Lebenshilfe-Haus klar? Welche Folgen werden diese Veränderungen für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben? Das Mitarbeitenden-Team unter der Leitung von Sigrid Baranek mit den Vorständen und Beiräten musste immer wieder passende Lösungsansätze finden, um die LH durch dieses schwierige Fahrwasser zu leiten. Inzwischen sind Abstandsregeln, Online-Sitzungen und Corona-Tests in unserem Lebenshilfe-Haus zum Alltagsbegleiter geworden.

Wie hat sich die Mitgliederzahl entwickelt?

Durch das im Jahr 2016 neu errichtete Lebenshilfe-Haus und die erweiterten Angebote konnte die LH die letzten Jahre ein stetiges Mitgliederwachstum verzeichnen. Im März 2020 zählte die LH 376 Mitglieder, im Laufe der Pandemie erhöhte sich die Mitgliederzahl zum März 2021 geringfügig auf 378 Personen. Dankbar sind wir über die langjährige Treue und Verbundenheit unserer Vereinsmitglieder.

Was wollen Sie mit ihrem Leitungs-Team als erstes nach der Krise anpacken?

Es gibt sehr viele Dinge, die wir als LH über ein Jahr Pandemie sehr vermissen. Ein ganz wesentlicher Punkt sind die Begegnungen von Menschen mit und ohne Handicap. Diese sollten zuallererst bei den Angeboten der LH, wie vor der Corona-Pandemie stattfinden können, zum Beispiel unsere wöchentliche Singgruppe oder die regelmäßigen Treffen unter der Woche. Auch Freizeitangebote über ein oder mehrere Tage für unsere Gruppen möchten wir wieder anbieten. Das heißt, die Personen mit Handicap reisen mit ihren Betreuenden in die Region oder zu weiter entfernten Zielen. Freuen würde sich die Lebenshilfe, wenn wir zu den Feierlichkeiten übers Jahr, zum Beispiel zum Gartenfest oder zur traditionellen Adventsfeier einladen dürften, und es dabei zu persönlichen Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung kommen würde. Auch die jahrzehntelange Tradition der integrativen Begegnungen beim Sportverein in Vollmaringen zum Sportfest oder den Naturfreunden aus Nagold zum Naturfreundefest wäre für uns eine große Bereicherung.

Was waren die Höhepunkte ihres Vereinslebens in 2020?

Bei den Höhepunkten für das Jahr 2020 gibt es wenig zu berichten. Als Verein und Arbeitgeber sind wir trotz größerer Sorgen im finanziellen Bereich mit staatlicher Unterstützung und einer gewissen Anspannung durch das Jahr 2020 gekommen. Das Leitungs-Team der LH möchte für die staatlichen Hilfen ein Lob aussprechen. Für uns ist die finanzielle Unterstützung kein Selbstverständnis, weil der Bedarf an Hilfeleistungen über die komplette Gesellschaft und Wirtschaft immens groß ist.

Die LH als Verein und die Gruppenteilnehmenden sind sehr dankbar für jedes Angebot, das wir seit Juni 2020, wenn auch in kleinerer Gruppengröße und in Einzelbetreuung, für unsere bedürftigen Personen anbieten konnten. Uns als Verein ist es wichtig, jedem Menschen mit Behinderung in einer guten und menschenzugewandten Art zu begegnen und gleichzeitig die Familien und Angehörigen zu entlasten.

Was sind die wichtigsten Projekte 2021?

Die Menschen mit Behinderung möchten nach der Pandemie gerne wieder mit unseren Fahrzeugen bei Tagesausflügen und Freizeiten mobil sein. Der Fahrdienst für Menschen mit Handicap soll weiterhin angeboten werden. Unser bisheriger Rolli-Bus, der über zwölf Jahre alt ist und knapp 190.000 Kilometer auf dem Buckel hatte, mussten wir aufgrund von sicherheitsrelevanten Mängeln außer Betrieb nehmen. Die Bestellung für das neue Fahrzeug konnte die LH nur mit der Förderzusage von Aktion Mensch stemmen, wobei eine offene Finanzierung im mittleren vierstelligen Bereich vorhanden ist – Spenden sind willkommen. Die bereits im Jubiläumsjahr 2019 aufgetretene integrative Theatergruppe der LH plant im Herbst 2021 mit ihren Vorbereitungen und den Proben zu starten – die geplanten Aufführungen sollen im Frühjahr 2022 stattfinden.

Und was wird die größte Herausforderung für Ihren Verein in diesen Zeiten sein?

Durch die Unsicherheiten der Corona-Pandemie und die Ängste erleben wir eine merkliche Zurückhaltung bei den Anmeldungen zu den Betreuungsangeboten der Offenen Hilfen und familienentlastenden Diensten. Ziel der LH ist, alle bedürftigen Personen wieder mit unseren Angeboten zu erreichen. Eine weitere große Herausforderung für uns ist die andauernde Kurzarbeit bei der LH, die wir zum ersten Mal in über 50 Jahren der Vereinsgeschichte bei der Agentur für Arbeit beantragen mussten. Weiterführend haben einige Ehrenamtliche während der Corona-Pandemie aufgehört, bei der LH mitzuhelfen. Deshalb möchten wir für ein ehrenamtliches Engagement ausdrücklich werben, um die Lücken bei der Betreuung von Menschen mit Handicap oder dem Fahrdienst schließen zu können – Interessierte dürfen sich gerne in der Geschäftsstelle unter 07452/2884 melden.

Werden Sie bei der nächsten Hauptversammlung wieder als Vorstand beziehungsweise Vorstandssprecher kandidieren?

Bei der Mitgliederversammlung im Herbst 2021 stehen turnusmäßige Vorstands- und Beiratswahlen an. Für die Aufgabe als Vorstand für Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit stelle ich mich gerne wieder zur Verfügung. Die Wahl des Vorstandssprechers obliegt bei der LH den Vorständen und Beiräten, auch für diese Aufgabe möchte ich meine Bereitschaft signalisieren.